Karl May: Der gute Mensch von Radebeul

COMPACT gratuliert zum Jubiläum des großen deutschen Schriftstellers

Ein Auszug aus der März-Ausgabe von COMPACT-Magazin (hier bestellen). Die April-Ausgabe ist ab 5.4. am Kiosk und gerade schon auf dem Postweg zu den Abonnenten.(hier bestellen).

Der gute Mensch von Radebeul

Vor 100 Jahren starb Karl May, 100 Millionen Leser verschlangen seine Bücher allein in Deutschland. In seinen Bestsellern krachen die Fäuste und der Henrystutzen – doch sein Spätwerk fasziniert durch Humanität, Toleranz und Friedenssehnsucht.

Von Bernhard Liebeneiner

Christiane Wilhelmine May, geb. Weise, gebar mit 19 Jahren ihr erstes Kind – und verlor es nach neun Monaten schon wieder. So erging es der armen Frau aus dem erzgebirgischen Hohenstein-Ernstthal auch mit ihrem dritten und vierten Nachkommen. Nur Tochter Auguste war noch am Leben, als die Gattin des Webers Heinrich August am 25. Februar 1842 ihr fünftes Kind zur Welt brachte. Auch dieser Knabe war ein Sorgenkind, denn er litt unter Nachtblindheit, von der er erst im Alter von fünf Jahren geheilt werden konnte. Ob dieser verstellte Blick auf die Welt die Phantasie des Jungen besonders anregte, ist nicht zu belegen, aber auch nicht abwegig, denn schon früh fiel der kleine Karl Friedrich durch Musikalität und eine rasche Auffassungsgabe auf. Dass er zum meistgelesenen Autor seiner Zeit werden würde, konnten jedoch weder seine Eltern noch sonst jemand erahnen.

Seit mehr als 100 Jahren zählt Karl May zu den auflagenstärksten Schriftstellern der Welt. Sein Werk wurde in mehr als vierzig Sprachen übersetzt. Die Weltauflage liegt bei mehr als 200 Millionen Bänden, davon etwa 100 Millionen in Deutschland. Große Popularität haben seine Bücher noch heute vor allem in Tschechien, Ungarn, Bulgarien, den Niederlanden, Mexiko und sogar Indonesien. Die erste Übersetzung erschien 1881 auf Französisch in Le Monde, die neuesten stammen aus Vietnam. Mit seinen Abenteuerromanen aus dem Orient und dem Wilden Westen begeisterte er Jung und Alt, erschloss seinen Lesern neue Welten und zeichnete ein Bild der Völkerverständigung auf christlicher Grundlage.

Doch seine Anfänge waren wenig ermutigend: Vom Lehrerseminar wegen Diebstahls ausgeschlossen, wegen Betrügereien inhaftiert, hielt sich May lange Jahre mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Seine Bestimmung fand er ausgerechnet im Zuchthaus von Zwickau. Dort verschlang er die zeitgenössischen Reiseberichte und Abenteuerromane, dort entstand das „Repertorium C. May“, eine Ideen- und Stoffsammlung, aus denen er nach seiner Freilassung schöpfte. Hinter Gittern lernte der Schwerenöter auch einen Geistlichen kennen, der ihm die christliche Lehre näherbrachte.

Als verlorener Sohn reumütig zu seinen Eltern heimgekehrt, begann der Hallodri im Alter von 32 Jahren mit dem Schreiben (…).

Der Jugendroman Der Schatz im Silbersee wurde zum Bestseller, doch vor allem markierte er die Geburt des edlen Helden, der zum Gegenentwurf des aus der Bahn geworfenen May wurde: Der deutsche Landvermesser Karl, genannt „Old Shatterhand“, groß und männlich, stark und sicher im Sattel seines Rappens Hatatitla und an seinen Gewehren Bärentöter und Henrystutzen. Er ist gebildeter als Leonardo da Vinci, spricht mehr Sprachen als Desirée Nosbusch, ist fitter als ein olympischer Zehnkämpfer und kennt Bibel wie Koran auswendig.

Trotz seiner allumfassenden Überlegenheit respektiert der vollendete „Westmann“ die Eingeborenen. Im Gegensatz zu anderen Europäern kommt der starke Karl nicht als Eroberer, sondern als Freund und Indianerversteher. Zusammen mit seinem Blutsbruder Winnetou durchstreift er den Südwesten der jungen und extrem gewalttätigen USA und sorgt dort für Gerechtigkeit und Völkerverständigung. Als Old Shatterhand im Westen und Kara Ben Nemsi im Osten streckt Karl May von seiner engen erzgebirgischen Heimat die Hand aus – und zieht mit der anderen seine wissbegierigen Leser hinter sich her. Doch trotz aller Exotik blieb May ein Heimatdichter, der das Gute im christlichen Menschen auch in fremden und exotischen Völkern sehen bzw. erwecken wollte. Seine Alter Egos waren Missionare des Schönen, Wahren und Guten, Botschafter der Freundschaft und des Friedens.

Durch den Erfolg seiner Bücher konnte May endlich die Länder bereisen, von denen er so weitschweifig und scheinbar detailgenau berichtet hatte. Die Tatsache, dass seine Erzählungen allesamt seiner Phantasie entsprungen waren, brachte ihm Hohn und Spott der Kritiker ein. Doch seine Leser hielten ihm die Treue, sein Verleger besorgte eine schön gestaltete Ausgabe nach der anderen, Karl May gehörte mehr denn je in jedes bürgerliche Bücherregal. Die blühende Phantasie, seine Hochstapelei und Lügengeschichten, die ihn vier Mal ins Gefängnis brachten, bildeten nun die Grundlage für seinen Ruhm.

Doch der späte Erfolg – May war bereits in seinen Fünfzigern – brachte auch eine Wandlung in Leben und Werk: In Und Friede auf Erden (1904) sprach sich der Kosmopolit deutlich gegen die alliierte Niederschlagung des „Boxeraufstands“ in China aus und besonders gegen die deutsche Beteiligung daran. Nichts weniger als „die Überwindung des menschlichen Leids durch brüderliche Harmonie“ stehe im Fokus seines Romans Ardistan und Dschinnistan, ließ May in einer Presseerklärung von 1909 verlauten. In diesem späten Roman entwarf May das Idealbild einer Oberwelt, in der sich geistig rege Menschen von den stumpfen Bewohnern der Unterwelt abhoben. Conclusio der Zukunftsvision: Nur die permanente Weiterbildung zum religiösen und humanistisch handelnden Menschen und eine gerechte Regierung durch einen solcherart aufgeklärten Herrscher können dauerhaften Frieden bringen und ein Zusammenleben der unterschiedlichen Klassen und Rassen garantieren.

Karl Mays Spätwerk war ein folgerichtiges Destillat seiner Reise-und Abenteuerromane. Wo er in den Orient- und Wildwest-Geschichten den edlen Wilden stilisierte, der gemeinsam mit dem Edelmenschen aus Europa für die gerechte Sache kämpft, konzentriert sich May in seinen letzten Büchern auf eine größere, wahrhaft weltumspannende Mission: Den modernen Menschen zum immer besseren Menschen und Mitmenschen zu erziehen.

1885 hatte Friedrich Nietzsche den Übermenschen postuliert. Vorstellungen von dieser höheren Entwicklungsstufe des Menschen grassierten bis in die 1930er Jahre bei Theosophen, Okkultisten, Esoterikern, bei Propagandisten des Ganzheitsmenschen, der Eurhythmie, der Tanz- oder Nacktkultur, bei Jüngern von Stefan George, Rudolf Steiner oder Lanz von Liebesfeld sowie bei Politrevolutionären unterschiedlichster Ausrichtung und Seriosität.

Auch Karl May fühlte sich berufen, im Rahmen seiner Möglichkeiten am Bild des neuen Menschen mitzuwirken. Für den gläubigen Christen war das nur auf der Grundlage der Bibel vorstellbar. Gegen Ende seines Lebens bekannte er, er sei: „trotz allen Erdenleides (…) ein unendlich glücklicher Mann. Habe mich aus Abgründen emporgearbeitet, werde von Hunderten, von Tausenden mit den Füßen immer wieder zurückgestoßen und liebe sie doch alle, alle. Ich habe meinen Beruf, meinen Erfolg, mein Heim, meinen unerschütterlichen Glauben an Gott und die Menschheit. Dieses große, große Glück möchte ich so gern auch anderen Menschen bereiten, allen, allen, nicht nur meinen Freunden, sondern auch vor allen Dingen meinen Feinden.“

Von Kritikern umzingelt, die ihm seinen großen Erfolg beim Publikum nicht gönnen wollten, spottete er gar in „Meine einstige Grabschrift“:

(…)

 

Doch diese Vorahnung erfüllte sich zum Glück nicht, denn es mangelte nicht an Anerkennung: Im März 1912 hielt der Künder des Guten auf Einladung des Akademischen Verbands für Literatur und Musik in Wien den Vortrag „Empor ins Reich der Edelmenschen“. Unter den begeisterten Zuhörern applaudierte ihm auch die befreundete Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner. Eine Woche später, am 30. März 1912, schloss der begnadete Geschichtenerzähler für immer seine Augen. Heute ruhen seine sterblichen Überreste in einem stilvollen Grabmal im sächsischen Radebeul – nicht weit von seinem Wohnhaus „Villa Shatterhand“ und dem Museum „Villa Bärenfett“.

Karl May ist Legende – sein Name ist auch 100 Jahre nach seinem Tod jedem Deutschen ein Begriff. Er versetzte ganze Generationen ins Träumen, indem er ihnen weite Horizonte eröffnete, die ihnen sonst immer verschlossen geblieben wären. Er nahm seine Leser an die Hand und führte sie in fremde Länder und exotische Sitten ein, ließ klingende Namen ertönen, erfand einen eigenen Kosmos voller Abenteuer und Gefahren, aber auch ewiger Freundschaft, Nächstenliebe und Toleranz.

Aber was ihn zum Helden macht, ist mehr: sein Idealismus in einer Zeit der Technik- und Wissenschaftsbegeisterung, des wirtschaftlichen Aufschwungs, der militärischen Aufrüstung. Das Deutsche Reich war ein erwachender Riese, der seinen „Platz an der Sonne“ suchte. Inmitten von Militärparaden, Schiffstaufen, nationalistischen Tönen und kolonialen Abenteuern wirkte Karl May wie ein Rufer in der Wüste. Er hatte mehr von den fünf Kontinenten gesehen als die meisten seiner Zeitgenossen und wollte von einer friedlichen, von christlichem Geist geprägten Welt edler Menschen künden. Das machte ihn zu einem Vorbild, das bis heute beeindruckt – egal unter welchem seiner zahlreichen Namen man ihn verehrt.

 Vollständiger Text nur in der Printausgabe COMPACT 3/2012.

* Bernhard Liebeneiner ist Rundfunkjournalist und lebt in Nürnberg. Für COMPACT 9/2011 verfasste er ein Porträt von Papst Benedikt XVI.

29 Kommentare zu „Karl May: Der gute Mensch von Radebeul

  1. mit verlaub, ich zitiere jetzt mal einen beitrag von mir der woander erschien:
    „Am 30. März 1912 starb Karl May, der Vater von Winnetou, Old Shatterhand, Kara
    Ben Nemsi und Hadschi Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Und vor fast genau 170 Jahren wurde er geboren. Grund genug, auf einen der einflussreichsten (und meistverkauften. Quelle? Wer mir eine vernünftige nennt, bekommt eine Currywurst am Curry 36 gratis) deutschen Schriftstellern hinzuweisen.

    Hat das irgendwie einen Filmbezug? Natürlich gibt’s grade hier über eine Menge Filme zu reden. Karl-May-Bücher (und später die Filme) waren wichtiger Gesprächsstoff, Zeitgeist und Politikum. Seine Prozesse am Ende seines Lebens, bei denen sich herausstellte, dass er nicht Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi war, wie immer von ihm behauptet, keine ca. 1200 Sprachen und Dialekte sprach und nie auf Hatatitla ritt, waren ein nationales Ereignis.

    In den 1960ern waren die Verfilmungen seiner Werke Blockbuster im Wortsinn. Die Leute standen rund um den Block, um in Winnetou zu gehen. ABER! Meine These: Es gibt (noch) keine Verfilmung, die dem alten Schlawiner so richtig gerecht wird.
    Mag er ein Hochstapler, Knastbruder (fast 9 Jahre) und Baron Münchhausen gewesen sein, er war auch ein begnadeter Autor: Abenteuer für (große) Jungs (Orient, Wilder Westen), zeitgeschichtliche Dramen (Revolte in Nordafrika, Umbruch in Mexiko und China) und fast marxistisches (die Erzgebirgserzählungen), alles im Boot.

    In ärmlichsten Verhältnissen in Hohenstein-Ernsttahl aufgewachsen, als Kind mehrere Jahre erblindet, der Trip in eine Fantasiewelt war vorprogrammiert. Irgendwann begann er für Zeitschriften zu schreiben, mit wachsendem Erfolg. Plötzlich wurde aus dem eher schmächtigen Karl May die alte Schmetterhand. Wenige Tage vor seinem Tod hielt er in Wien einen Vortrag, “Empor ins Reich der Edelmenschen” (klingt heute eher seltsam), und traf sich mit der von ihm sehr geschätzten Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner. Am Ende war er nur noch Pazifist.

    Ein so umfangreiches Werk mit so vielen Abenteuern, die erzählt werden wollen, bringt natürlich eine Menge Verfilmungen mit sich. Bereits in der Stummfilmzeit griff man aus auf die Orientserie zurück. Mit Auf den Trümmern des Paradieses wurden einige Episoden aus dem Roman „Von Bagdad nach Stambul“ von Josef Stein verfilmt. Es ist keine Kopie des kommerziell nicht sehr erfolgreichen Films erhalten geblieben, aber immerhin war Mays Witwe bei der Premiere anwesend. Ebenfalls verschollen sind alle Kopien von Die Todeskarawane (Stein) und Die Teufelsanbeter (Ertugrul Moussin-Bey), in denen kein Geringerer als Bela Lugosi jeweils eine Komparsenrolle hatte. Alle drei hatten 1920 Premiere.

    Auch im Dritten Reich gab es eine Verfilmung, war doch Karl May einer der Lieblingsschriftsteller des Führers. Was man dem alten Schlitzohr aus Hohenstein- Ernsttahl aber weiß Gott nicht anlasten kann. Diesmal war es Durch die Wüste von Johann Alexander Hübler-Kahla, der schon ein Jahr nach der Premiere (1936) Deutschland verlassen musste. Dieses, nun ja, etwas dröge Werk gibt’s aber wenigstens auf DVD zu besichtigen, Koch Media sei Dank.

    Die große Zeit der Karl-May-Filme sollte erst noch kommen.
    Einen ersten Vorgeschmack gab es 1958 und 1959 mit zwei bundesdeutschen Verfilmungen von Stoffen aus dem Orient-Zyklus. Die Sklavenkaravane und Der Löwe von Babylon waren deutsch-spanische Co-Produktionen, die auch jeweils zweisprachig gedreht wurden. Auch hier gibt’s DVDs, richtig spannend sind die beiden Wirtschaftswunderklamotten mit Theo Lingen und Georg Thomalla aber nicht. Genau wie die 1930er-Variante nur Hardcoresammlern zu empfehlen.

    GONG! Die Produzentenlegende Horst Wendlandt tritt auf!
    1962 produzierte er den ersten Karl-May-Wild-West-Film: Der Schatz im Silbersee.
    Regisseur war der ehemalige Regieassistent von Leni Riefenstahl, Harald Reinl.

    Wendlandt besetzte die Rolle des Old Shatterhand mit dem ehemaligem Tarzan-Darsteller Lex Barker (Alexander Crichlow Barker Jr), für ihn „deutscher als alle Deutschen“ aussehend, und dem französischen Jungstar Pierre Brice (Pierre Louis, Baron le Bris) gab er den Part als Winnetou. Beides erwies sich als Glücksgriff. Auch wenn Brice anfangs große Ressentiments gegen die Rolle hatte, er wurde DAS Gesicht Winnetous.

    Eng an der Vorlage war der Film wahrlich nicht, bot aber einige wichtige Charaktere aus dem May-Universum, und hatte mit den jugoslawischen Locations ein für die damalige, noch nicht so weitgereiste deutsche Kinogemeinde eine tolle Westernlandschaft aufzuweisen. Diverse weiterer Stars wie Götz George, Eddi Arent, Karin Dor, alle mehr oder weniger aus den Edgar-Wallace-Filmen von Horst Wendlandt bekannt, machten das Kraut fett.

    Ja, ein Film, den ich, trotz allem Klamauk, empfehlen kann. Der Erfolg war enorm, nicht nur in deutschen Landen. Von jetzt an war das Feuerross nicht mehr zu stoppen. Winnetou, das Opus magnum aus Mays Schaffen, ebenfalls von Reinl / Wendlandt, übertraf die (hohen) Erwartungen und wurde ein Exportschlager. Selbst in der Heimat des Western, in den Staaten, lief der Film mit einigem Erfolg. Interessanterweise auch in der UdSSR („Виннету“). Empfehlung.

    In der DDR lief er nie (bzw. erst im TV, in den 1980ern). Wir (in der Zone) hatten seinerzeit alle Brücken zu Karl May abgebrochen, die Verlags- und Filmrechte nach Bamberg verkauft und das Karl-May-Museum in „Indianer-Museum Radebeul“ umgetauft. Aus dem sächsischen „Weltenbummler“ war ein böser Imperialist geworden. Warum auch immer.
    Wenn seinerzeit irgendeine Filmreihe gut lief, war schnell Artur „Atze“ Brauner am Ball. So schon bei den Edgar-Wallace-Filmen geschehen. Klar enterte er das fett beladene Schiff und brachte seine eigene Reihe zur See. Dank seltsamer Vertragsklauseln konnte er sich die populären Hauptdarsteller sichern und machte aus „Motiven“ von Karl May ziemliche Grütze. So in Old Shatterhand.
    Immerhin hatte er mit Der Schut, ebenfalls auf der Orientserie basierend, mit Robert Siodmak einen wirklich guten Regisseur an der Hand. Die extrem düstere Vorlage wurde leider als Ulknummer umgesetzt.
    Winnetou II, meines Erachtens nicht so gut wie der Vorgänger, kann sich trotzdem sehen lassen, aber langsam wird’s Routine.

    Mit Unter Geiern kam Stewart Granger (Lex Barker durfte aus Vertragsgründen nicht) als „Old Surehand“ ins Boot. Ein wohl eher anstrengender Typ, wie Pierre Brice später stöhnte. Und erstmals ein junger Jugoslawe, der es ab da für die Jahrzehnte bei der DEFA zum „Chefindianer“ bringen sollte: Gojko Mitic.
    Auch dieser Film ist jedoch eher dröge.

    Die Geldruckmaschine Karl-May-Film kam inzwischen zum Stillstand. Mehr oder weniger lieblos hingeschnodderte Werke, die so gut wie nix mehr mit den Vorlagen gemein hatten, und Schauspieler wie Heinz Erhardt (schon ein guter, der in den Streifen aber noch weniger zu suchen hat als ein Theo Lingen) machten dem deutschen Subgenre den Garaus. Der legendäre Martin Böttcher, der den Sound so vieler Verfilmungen geprägt hatte, war auch nicht mehr mit an Bord.
    Es folgte noch eine ganze Reihe von Filmen, mal im Orient, mal in Mexiko, Südamerika oder im „Wilden Westen“ angesiedelt. Alles für die Katz. Von Winnetou III (Harald Reinl) abgesehen, gibt es nur noch einen empfehlenswerten: Winnetou und Shatterhand im Tal der Toten. Noch mal zurück auf Anfang, noch mal May-Feeling, dann war’s vorbei.

    Das alles hatte sich im Verlauf von ca. 6 Jahren abgespielt, heute unglaublich. Die Hotelbuchungen in Jugoslawien, zumindest was Wendlandt und Brauner betraf, gingen abrupt zurück. In Deutschland gab es den „jungen deutschen Film“, und die Karl-May-Filme waren auf einmal so aufregend wie die Heimatfilme, die Sissi-Reihe und die Edgar-Wallace-Streifen. Jeder Schulmädchenreport war plötzlich spannender. Es gab später diverse TV-Serien (Mein Freund Winnetou), sogar DDR-Verfilmungen (Das Buschgespenst), sowie eine Zeichentrickserie (WinneToons), aber der Rauch war raus.
    Wer all das nicht verdient hat, ist Karl May.

    Ich wünsche mir einen RICHTIG guten Karl-May-Film (besser noch ganz viele), das Potential haben die Geschichten, spannend und vor allem humanistisch sind sie immer. Wird wohl nicht so kommen, aber wer weiß…

    Zum Weiterlesen und Weiternetten:

    – Karl May. Grundriss eines gebrochenen Lebens
    (Sehr gut, und Hans Wollschläger war auch Herausgeber der textgenauesten Edition der May’schen Werke)
    – Gesammelte Werke: Karl-May-Filmbuch: Stories und Bilder aus der deutschen Traumfabrik
    – Das große Album der Karl-May-Filme
    – Swallow, mein wackerer Mustang
    – Sitara und der Weg dorthin: Eine Studie über Wesen, Werk und Wirkung Karl Mays“

    so, das wars.

  2. ich kann JEDEM INTERESSIERTEN nur den herrlichen und sehr stilvollen biographischen film „karl may“ von hansjürgen syberberg empfehlen. es ist auch auf dvd erhätlich. helmut käutner spielte die hauptrolle. ein ausführliches bild jener zeit. man sieht auch deutlich die anzeichen des nahenden unheils, das nur wenige jahre nach seinem tod kam (der erste weltkrieg). und es wird auffällig bezug darauf genommen, wer unter anderem für ihn schwärmte und bei seinem letzten vortrtag in wien dabei war: der damals noch junge adolf schicklgruber, später urheber des dritten r., und die pazifistin bertha von suttner. auch wird über seine juristischen auseinandersetzngen mit seinen gegnern, u. a. rudolf lebius, berichtet, und seine wandlung von einem anfangs deutsch-„nationalisten“, der die einführung des „henrystutzens“ in der deutschen armee befürwortete, zu einem entschiedenen ablehner und kritiker der politik des kolonialisten wilhelm zwo, dem er bescheinigt, „nicht nur einen verkrüppelten arm“ zu haben, sondern auch auf moralischen gebieten verkrüppelungen aufzuweisen.

  3. so sehr mir der artikel gefällt, so sehr finde ich, sollte man auch beginnen nachzufolgen, anstatt immer wieder menschen auf podeste zu stellen und ihnen glorienscheine zu verabreichen.

    es ist nicht so schwer! man muss nur ehrlich mit sich selbst ins gericht gehen ud sich ändern, überwinden. old shatterhand ist der typ von ich hier immer und immer wieder spreche, wir alle können an uns arbeiten aufrechte menschen zu werden, fähig der rückhaltlosen selbstkritik und selbstbetrachtung, oder es sentimentale schwärmerei nennen. doch wer es sentimentale schwärmerei nennt, soll auch aufhören zu heulen, dass der wolf ihn frisst, wäre er doch selbst nicht weniger gefräßig, hätte er die macht. old shatterhand ist eben kein mythos, sondern liegt für jeden menschen in reichweite, jeden morgen könnte er ihm aus dem spiegel entgegesehen.

    aber ja, schönes bild das der autor da präsentiert…

  4. Auch ich habe seine Bücher verschlungen. Heute erscheinen sie mir langweilig und spießig.
    Trotzdem: Der Männertypus von damals verhält sich zum Frauendiener von heute wie der Zenith zum Nadir. Selbsbewusst, überschießend an Kräften – heute schuldbewusst, vor sich hin knechteldn.

  5. Danke für diesen schönen Artikel. Zu seiner Kindheit: Karl wuchs in ärmlichsten Verhältnissen auf. Sein Lichtblick war die örtliche Bibliothek, in der er Trost durch Romane über Sozialbanditen fand. Das Fremde war für ihn keine Bedrohung, sondern ein exotischer Lichtblick in der bedrückenden Wirklichkeit. Sein Talent zum fantasieren führte ihn zu Betrügereien, die ihn in das Gefängnis brachten. Als Literat fand er eine legale Form, sein Talent auszuleben. Er sprach vielen Deutschen, die unter den Verhältnissen in Deutschland litten, damit aus der Seele. Seine Popularität belegt, dass nicht primär der Furor Teutonicus, sondern der Traum vom Abenteuer Mentalitäten im Deutschland der Jahrhundertwende kennzeichnete. Ihn inspirierten die Schriften von Alfred Edmund Brehm und Ferdinand Freiligrath, die ebenfalls Weltoffenheit und Neugier auf andere Kulturen und nicht der imperialistische Überfall kennzeichneten.

  6. Warum haben die Deutschen eine andere Einstellung zu den
    Indianern als die Amerikaner ?
    Dank Karl May sind uns die amerikanischen Ureinwohner
    als Menschen nahe gebracht worden .
    Dafuer sollten wir Karl May danken .
    Die Indianer sind fuer uns Menschen .
    Genau wie die anderen Voelker dieser Erde , wie z Bsp die Iraner , die Palaestinenser , die Afrikaner , die Suedamerikaner usw .
    Danke Karl
    Genetisch gesehen sind wir sowieso alle Afrikaner .

  7. Imho besteht die seelische Größe Karl Mays in seiner Schau. Denn in seiner Schau konnte er wunderbare Menschen und wunderbare Beziehungen dieser Menschen untereinander und zu den „Bösen“ sehen. Die – in seinem Licht gesehen – nur deshalb „böse“ waren, weil sie diese Schau nicht hatten, das Licht nicht sehen konnten und also Dunkelheit wahrnehmen mussten.

  8. Von Utz Anhalt erscheint ein schöner Artikel über das Friedensbündnis zwischen deutschen Siedlern und Komantschen im 19. Jh. in Texas in der Mai-Ausgabe von COMPACT. Diese Deutschen waren die einzigen weißen, die die indianer respektiert haben.

  9. jürgen: das ist aber eindeutig quatsch. es gab mehrere und viele, verschiedene weiße einzelpersonen und gruppen, die die indianer respektierten und von den ureinwohnern ebenso respektiert wurden. ich erinnere an die heute nicht mehr allzu bekannte reihe von fritz steuben „tecumseh“, „der rote sturm“, in denen er – meinen informationen nach um einiges vor karl may – über die kriegstaten und den letztendlich vergeblichen kampf tecumsehs gegen die engländer, franzosen und amerikaner berichtet. hier wird mehrfach über die unterschiedlichen beziehungen zwischen damaligen indianerstämmen und europäern berichtet sowie von kriegshelden und häuptlingen, die trotz gegenseitiger ideologie in wechselseitigem respekt mit den offizieren, siedlern, waldläufern („lederstrumpf“, daniel boone stand hier pate in literarischem sinne) lebten. auch james fenimore cooper ist hier zu nennen – trotz vieler negativer und defnitiv reißerischer verzerrungen, die er in seinen büchern vornimmt.

  10. @eule

    „Dank Karl May sind uns die amerikanischen Ureinwohner
    als Menschen nahe gebracht worden .
    Dafuer sollten wir Karl May danken .
    Die Indianer sind fuer uns Menschen .“

    also ich hoffe mal, dass wären sie auch ohne karl may für uns. brauchen wir wirklich schon einen souffleur für ein mindestmaß an menschlichkeit. ich hoffe nicht 😉 das kolonialistische gemüt lächelte wohl nur schief über may und alle jende, die in allen menschen, menschen sehen, fanden sich nur in karls romantischen schriften wieder.

    so schätze ich es zumindest ein.

  11. @jürgen. Sie waren natürlich nicht die einzigen Weißen in der Geschichte der USA, die die Indigenen respektierten. Aber sie waren diejenigen, die im unabhängigen Texas die Komantschen als gleichberechtigte Menschen respektierten und in Frieden mit ihnen leben wollten.

    Eine amerikanische Demokratie, in der Weiße, Rote und Schwarze gleichberechtigt leben, war die Idee von Jefferson, Daniel Boone, William Penn und auch von Samuel Houston, der unter Cherokee aufwuchs und Mexiko in die Knie zwang. Die Idee von Texas von Sam Houston und Davy Crockett war nicht das Texas von Bush.

  12. utz: Aber, wenn ich recht verstanden habe, war der „deutsche“ Vertrag der einzige, der nicht gebrochen wurde, oder?

  13. @ Alberto
    Habe von wenigen Tagen eine DVD Trilogie von Werken Syberbergs erstanden, u.a. auch den Film Karl May (neben „Unser Hitler“ und „Ludwig“). Habe noch keine Zeit und Muße gefunden, es anzuschauen, bin aber außerordentlich gespannt. Syberberg kannte ich bislang nur von seinem – vor 20 Jahren von mir begeistert verschlungenen – Buch ‚Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege‘.

  14. prince charming: schön, daß sie ihn auch kennen. er wird (zu unrecht !) in unserem fernsehen sehr selten gezeigt. dabei war syberberg einer der faszinierendsten regisseure. er hat sich auf eine weise mit der deutschen geschichte beschäftigt, die nie ein anderer filmemacher in all ihren facetten visualisiert hat. heute ist er weitgehend verkannt. das ist unsere hiesige kultur-„gesellschaft“.

  15. j. fischer: ja, er wird gottseidank – jetzt, wo die DVD ihren siegeszug antritt – wieder etwas gewürdigt, indem man filme von ihm kaufen kann, die sonst jahrzehntelang nicht erhältlich waren, auch nicht auf VHS. manchmal wünschte ich mir, daß die „leitbullen“, die das derzeitige medien- , kultur- und kunstleben der brd dominieren, auch nur h a l b soviel bildung, intellekt und gefühl hätten wie ein hansjürgen syberberg. aber das ist zuviel verlangt. es gibt ja immerhin dieter bohlen, nena, das dschungelcmp und veronica ferres. insofern haben wir die DIKTATUR DES PROLETARIATS. im geistigen sinne !

  16. utz anhalt: die vorgänge in texas – ein wichtiger hinweis ! gerade dazu hat karl may in „winnetou II“ auch berichtet, wie die damals in texas ansäsigen dt. siedler in sich gespalten waren: just hatte der französische kaiser napoleon III seine armeen ins benachbarte mexiko geschickt und den österr. herzog maximilan als marionette (wir würden sagen „quisling“) zum kaiser von mexico ernannt. die deutschen in texas hatten zwar eine schwäche für „kaiser max“, aber sie waren auch sehr wütend auf ihn, da er als anhängsel der „grande nation“ das land mexiko betreten hatte. zudem waren sie von der von Ihnen oben erwähnten demokratischen strömung in texas beeinflust und erkannten somit zusehends, daß die invasion österreichs und frankreichs in mittelamerika eine perfide agression war. diesen kampf und das aufbäumen der mexikaner unter ihrem helden BENITO JUAREZ schilderte karl may in seiner bekannten erzählung „SCHLOSS RODRIGANDA“ und den fortsetzungen (die pyramide des sonnengottes), auch bekannt unter dem titel WALDRÖSCHEN. es ist in mehrere fortsetzungsfolgen unterteilt, die ihm später arge probleme bereiteten, als vorwürfe der „schundliteratur“ laut wurden und die rechte an den büchern zum streitfall.

  17. Alberto: Die Geschichte von Benito Juarez war auch in COMPACT 2/2012.

  18. @ Alberto
    Ich habe es gestern Abend nicht lassen können und die erste HJS Karl May-DVD teilweise angeschaut.
    Wirklich ein Fest für die Sinne und Seele. Wenn man diese „alten“ Filme sieht, bin ich immer wieder erstaunt über die Hingabe der Produzenten und Schauspieler, die sprachliche Tiefe und Liebe zu – aussagekräftigen – Details. Und die schiere Langsamkeit (aus heutiger Sicht) – Lange Weile im positivsten Sinne (siehe Hagen Rether „Liebe“), mit der die einzelnen Szenen bespielt sind.
    Derlei ist heute nicht nur kaum gesehen, sondern ein Großteil der Medienkosumenten – bis unters Kinn sinnesüberflutet – würde von so einem Kunstwerk lediglich angeödet sein.
    Danke für die Anregung.

  19. Außerordentlich interessant ist auch der Kolportageroman „Der verlorne Sohn oder Der Fürst des Elends“ von Karl May.
    Die soziale Ausbeutung von Leib und Seele, deren Deformation, Bigotterie und Falschheit und deren sittliche Gegenbeispiele. Schlichte, ehrbare Menschen und natürlich – wir lesen Karl May (und gern) – sittliche Helden.

  20. früher war ich etwas hin und hergerissen bei karl may. und bines auch heute, allerdings meine ich damit die philosophisch-ethische komponente, nicht die künstlerische. natürlich erhebt er – wie so viele – keinen anspruch auf „schilderung realer situationen“, sondern seine erzählungen sind visionen einer gerechten und harmonischen welt. dabei treten die beiden extrem-varianten des „absolut bösen und finsteren“ schurken und des „edlen, sittlich-humanistischen“ typus in ewigem duell auf – und die filme der 60er jahre setzten dieses schema in einer – häufig nicht befriedigenden und sehr vereinfachten weise – um. zwischen dem mörderischen, goldgierigen grafen rodriganda, der die azteken ihres heiligen schatzes berauben will und dafür die reine prinzessin karja betrügt, oder dem cornel brinkley, der den schatz im silbersee mit allen verbrecherischen mitteln sucht, auf der e i n e n seite, und dem weisen klekih-petra, einem büßer und lehrer winnetous, oder dem unerschrockenen, edelmütigen häuptling tecalto, abkömmling des königs der mixtekas, liegen keine „dritt-charaktere“ – vielschichtige gestalten, in denen nicht nur edles und gutes, bzw. böses und agressives, sondern eben auch grautöne dabei sind. dem erzähler may selbst freilich gelang dies noch an einigen stellen – den filmen nie. wobei ein alfred vohrer immerhin einen guten grif getan hatte indem er die rolle des old surehand mit dem genialen STEWART GRANGER besetzte – ein sarkastischer altstar mit grauen schläfen, der mit seiner leicht trockenen art und seinen sympathischen bonmots (auch sein kumpel „old wabble“) die anderen western-anfänger an seiner seite (u. a. götz george, den ölprinz harald philipp) förmlich an die wand spielte. selbst ein lex barker – egal, wie sportlich oder gutmütig er sein mochte – kam in seiner darstellung nie gegen das charmante und weltmännische, aber zugleich selbst-ironische und kumpelhafte auftreten eines stewart granger an.

    es gibt solche helden nicht mehr. es sind die träume meiner jugend.

  21. O.k., jetzt ist mir ein fehler unterlaufen. die rolle des ölprinzen spielte nicht harald philipp, sondern harald leipnitz. durchaus stilvoll gab er den beinahe-eleganten, skrupellosen schurken und geschäftsmann.

    harald philpp war der regisseur.

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